Ethik! Wie oft beobachte ich im Rahmen von Gesprächen, wie dieses Wort bei vielen Menschen eine emotionale Abwehrreaktion hervorruft. Und doch: neben Ausdauer und Disziplin preise ich weiterhin die Notwendigkeit eines ethischen Verhaltens im Leben. Die Ethik, die ich vertrete, hat keinen religiösen Touch! Ethisch zu sein, ist keine Fahrkarte in den Himmel, wo ErSieEs (meine Benennung für das Absolute, die Quelle aller Quellen, Gott) uns mit einer Belohnung empfängt, weil wir angeblich alles richtig gemacht haben.

Es gibt nach spiritueller Tradition zahlreiche Empfehlungen für den spirituellen Weg. Für die meisten Yogapraktizierenden ist der achtgliedrige Pfad nach Patanjali, auch Ashtanga-Yoga genannt, eine der wichtigsten Referenzen.

Patanjalis königlicher Weg des Yoga

Vor rund 2500 Jahren hielt der weise Patanjali in seinem Werk „Das Yogasutra” einen schon damals bekannten spirituellen Leitfaden fest. In 196 Leitfäden („Sutras“) gab er eine Anleitung für den Weg des spirituellen Erwachens. Für alle Menschen, die mehr über die Meditation und den Weg der geistigen Beherrschung wissen wollen, ist diese Lektüre ein Pflichtprogramm. Die acht Stufen des Raja Yoga – des königlichen Wegs – sind wie folgt definiert:

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  • Yama: ethisches Verhalten anderen gegenüber
  • Niyama: Umgang mit sich selbst
  • Asana: Yoga-Körperstellungen
  • Pranayama: Kontrolle und Ausdehnung der Lebensenergie Prana
  • Pratyahara: Fähigkeit, die Sinnen zurückzuziehen
  • Dharana: Konzentration des Geistes
  • Dhyana: Meditation
  • Samadhi: Zustand des Erwachens

Spannend ist, dass der achtstufige Pfad weder mit den Asanas (Yogastellungen) noch mit den Atemübungen (Pranayama) startet. Wieso beginnt der so ersehnte Weg der Meditation mit ethischen Aspekten?

Die Yamas als ethischer sozialer Lebensstil

Die Yamas geben uns eine Anleitung für den richtigen sozialen Umgang, denn gute Absichten allein reichen nicht aus!

Als der Weg des Yoga sich mir vor Jahren offenbarte, war mir klar, dass wir hier nicht von Körperverrenkungen sprechen. Seitdem tue ich alles in meiner Macht Stehende, um aufzuklären, dass Yoga eine geistige Disziplin und Lebensphilosophie ist. Für mich ist dies die Tiefe, die uns wahre Spiritualität liefert, wenn wir uns darauf einlassen. In meinem Blog über Yoga und Körperstellungen findest du einige Erläuterungen meiner Sichtweise.

Die 5 Yamas: Geschenk oder Gezwungenheit?

Während die Yamas sich mit einer sozialen Praxis beschäftigen, legen die Niyamas den Fokus auf die Einstellungen, die ein spiritueller Aspirant für sich selbst zu kultivieren hat. Sie ergänzen sich und können nicht voneinander getrennt betrachtet werden. Wie kann ich etwas im Außen vertreten, wenn meine innere Haltung sich dagegen wehrt?

Die Yamas werden oft als 5 moralische Prinzipien des Yogapfades beschrieben, die jedem Praktizierenden ein solides Fundament vermitteln. Eine kontinuierliche Umsetzung führt zu mehr Mitgefühl und Reinheit. Die fünf Yamas, die in Kapitel II ab Vers 35 in den Yogasutras erläutert werden, sind:

  • Ahimsa: Gewaltlosigkeit
  • Satya: Wahrhaftigkeit
  • Asteya: Nicht-Stehlen
  • Bramacharya: (sexuelle) Enthaltsamkeit
  • Aparigraha: Nicht-Zugreifen, frei von Gier sein

Komm nun mit auf eine Reise, in der ich dir mein Verständnis der Yamas näherbringe.

Yama Nr. 1: Ahimsa

Ahimsa wird mit „Nicht-Verletzen“ oder „Gewaltlosigkeit“ übersetzt. Für mich hat sich mittlerweile die Schwingung eines anderen Wortes gezeigt: Sanftmut! Sanftmütig zu sein, setzt die Fähigkeit des inneren Friedens voraus. Denn erst dadurch sind wir in der Lage, unserer Erde und unseren Mitmenschen wohlgesonnen zu begegnen.

Ahimsa scheint für viele die Erklärung zu sein, warum sie sich vegetarisch oder vegan ernähren. Doch beginnt Ahimsa in der mentalen Ebene und umfasst viel mehr als die physische Ernährung. Wie oft verletzen wir die Würde unserer Mitmenschen, indem wir Schlechtes über sie verbreiten? Wie oft fluchen wir über Leute, die unsere Ansichten nicht teilen?

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Als ich in der Vergangenheit begann, die wahre Botschaft dieses Yama zu verstehen, konnte ich meine nächste spirituelle Krise nicht stoppen. Dabei stellte ich mir die Frage, welches Bild eine spirituelle Aspirantin wirklich vertreten kann. Dann verstand ich, dass es nicht um Perfektion geht. Vielmehr geht es um eine mentale, geklärte Ebene, die für glaubwürdige Akzeptanz, Freundlichkeit und Mitgefühl steht.

Yama Nr. 2: Satya

Was ist Wahrheit und gibt es eine absolute Wahrheit, zu der wir als Individuum Zugang haben? Genau darum geht es bei diesem zweiten Yama, der Wahrhaftigkeit bedeutet. Satya ist die Haltung, mit der du durchs Leben gehst. Satya zeigt auf, was du über deine Mitmenschen denkst.

Können wir behaupten, immer wahrhaftig zu handeln? Auch wenn die Wahrheit verletzend sein kann? Eine Haltung, die mir beim Kultivieren der Wahrhaftigkeit hilft, ist, alles zu tun, damit meine Worte, Taten und Gedanken zusammenpassen.

Im Umgang mit anderen stelle ich mir die Fragen:

  • Wem dient es?
  • Welche Ebene in mir wird dadurch befriedigt?
  • Was will ich damit bezwecken?

Die Weisheit eines anderen spirituellen Systems hat mir außerdem weitergeholfen. Hast du schon von der Weisheit der Tolteken gehört? Neben meiner spirituellen Begleitliste sind sie treue Begleiter meines Lebensweges geworden. Gerade das erste und vierte Versprechen helfen mir bei der Pflege von Satya:

  • Ich wähle mit Bedacht meine Worte und bin damit untadelig.
  • Ich tue immer mein Bestes.

Yama Nr. 3: Asteya

Viele denken bei diesem Yama: „Einfach! Kein Thema für mich, denn ich stehle nicht.“ Nicht-Stehlen umfasst viele Aspekte. Sie zeigen sich nicht nur, wenn Menschen eine Menge Geld für krumme und illegale Geschäfte kassieren. Die subtile Energie des Stehlens begleitet uns alle im Alltag. Wie oft nehmen wir beispielsweise Besitz von Zeit, Wissen oder Eigentum von Menschen und der Natur, die uns nicht gehören? Wir oft kopieren wir Menschen und tun so, als ob wir selbst die Urheber dieser Ideen sind?

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Sind wir in der Lage, anderen ihren Wert zuzugestehen? Oder gehören wir zu den Menschen, die gern konsumieren, solange umsonst oder günstig? Asteya bedeutet so viel wie nichts zu nehmen, was einem nicht gehört. Diese Haltung ist nicht nur auf Materielles einzuschränken. Sie bezieht sich auch auf geistiges Eigentum! Als ich mich mit diesem Yama intensiv auseinandersetzte, entfaltete sich in mir die Schwingung des Begriffs „natürliche Sättigung“. Ich nahm wahr, dass Mangel der Grund von „immer mehr besitzen wollen“ ist.

Sicherlich gibt es andere Aspekte, die hier zu betrachten sind. Doch behaupte ich, dass, wenn sich jede Person an den Zustand wahrer Fülle in sich erinnern könnte, finanzielle und soziale Ausrottung aufhören würden. Dafür ist es fundamental, die Funktionsweise des menschlichen Geistes zu verstehen.

Yama Nr. 4: Brahmacharya

In seiner ursprünglichen Bedeutung bedeutet Brahmacharya soviel wie „spirituelle Schülerschaft“. In vielen Traditionen wird dieser Yama als sexuelle Enthaltsamkeit oder sogar Zölibat verstanden. Hierbei ist es wichtig, den Kontext der Vergangenheit und das Ziel der spirituellen Praxis zu verstehen. Wenn wir erkennen, dass

  • nicht alle der Welt entsagen und sich als Mönch oder Nonne weihen,
  • das Ziel der Spiritualität wahre Erkenntnis über uns zu erlangen ist,
  • unsere sexuelle Energie ein mächtiges Geschenk der Schöpfung ist,

so können wir unter Brachmacharya den richtigen Umgang und Maß mit allem verstehen. Sicherlich gehört das sexuelle Verhalten dazu und kann an dieser Stelle nicht ignoriert werden.

Die sexuelle Energie ist der Ausdruck von Lebenskraft. Mit diesem Yama lernen wir den guten Umgang mit unserem Verlangen. Denn wenn wir unser Verlangen anerkennen, so können wir lernen, es geistig zu stillen. Es wäre fatal, zu glauben, dass es hier darum geht, die sexuelle Energie zu unterdrücken oder zu verleugnen. Die Zauberworte sind Wertschätzen und Sublimieren!

Yama Nr. 5: Aparigraha

Du kennst bestimmt das Sprichwort, das besagt, dass man mit leichtem Gepäck besser durchs Leben geht. Das können wir nur tun, wenn wir in die Lage kommen, zufrieden mit dem zu sein, was wir haben. Doch scheint das derzeit auf unserem Planeten eine Mammut-Aufgabe zu sein. Unser aktuelles Motto könnte, so kommt es mir oft vor, lauten: Je mehr, desto besser!

Die Essenz von diesem Yama bringt uns in Kontakt mit der Fähigkeit, frei sein zu können. Frei von Besitz und dem Drang, Dinge anzusammeln. An dieser Stelle müssen wir wach bleiben. Stets! Es geht nicht darum, zu suggerieren, dass Reichtum schlecht oder sogar böse wäre. Vielmehr geht es darum, hinter alldem, was du ansammelst (Geld, Anerkennung, Ideen usw.), deine wahre Absicht zu erkennen und diese zu überprüfen.

Aparigraha ist sehr subtil und bezieht sich des Weiteren auf die Starrheit unseres Denkens. Das Festhalten an Vorstellungen und an Gedanken kann auch eine Form von Besitzgier sein.

Die Yamas für mehr Frieden

Meine Überzeugung ist, dass das Wissen um die Yamas und das Kultivieren dieser 5 Prinzipien uns zu besseren Menschen macht. Vor Jahren habe ich aufgehört, die Yamas als Gebote oder Gesetze zu sehen. Sie bilden fünf unterschiedliche Prinzipien, die ineinandergreifen und uns viel Erkenntnis liefern.

Überprüfe gern für dich, womit du gehen kannst und willst. Und solltest du mir bereits folgen, so kennst du meine Haltung. Es geht nicht um Dogmen. Schaue, was du umsetzen willst, und tue es dann richtig und mit Hingabe!

Om und Prem, Massama Kambia
Spirituelle Lehrerin und Zahlenmystikerin